van Treeck, Peter:
Beiträge zur Wiederbesiedlung natürlicher, seminatürlicher und künstlicher Riffsubstrate durch Steinkorallen und andere marine Invertebraten
Essen, 2002
2002Dissertation
Allgemeines, SonstigesFakultät für Biologie » Aquatische Ökologie
Titel:
Beiträge zur Wiederbesiedlung natürlicher, seminatürlicher und künstlicher Riffsubstrate durch Steinkorallen und andere marine Invertebraten
Autor*in:
van Treeck, PeterUDE
LSF ID
10018
Sonstiges
der Hochschule zugeordnete*r Autor*in
Erscheinungsort:
Essen
Erscheinungsjahr:
2002
DuEPublico 1 ID
Signatur der UB:
Notiz:
Essen, Univ., Diss., 2002

Abstract:

Das Ausbreitungs- und Wiederbesiedlungspotential ist neben der Regenerationsfähigkeit von Kolonieresten der Schlüssel für die Persistenz von Korallengemeinschaften. Ausgehend von Arbeiten zur Wiederbesiedlung von künstlichen Riffstrukturen von SCHUHMACHER (1973, 1974, 1977, 1988) im nördlichen Roten Meer wurden die Ansiedlungsbedingungen von Steinkorallen und anderen Pioniersiedlern im Hinblick auf abiogene und biogene Steuerungsfaktoren vergleichend in situ auf konventionellen und elektrochemisch erzeugten Substraten untersucht. In einem Riffareal bei Aqaba (Jordanien) wurden in 10 und 20 m Wassertiefe Experimentieraufbauten zur simultanen Exposition unterschiedlicher Substrate installiert. Neben quasi-natürlichen Substraten (gesägte Platten aus dem Skelett der Steinkoralle Favia favus) kamen auch künstliche Besiedlungsplatten aus Beton zum Einsatz. Die Expositionsgestelle erlaubten sowohl die vertikale als auch die horizontale Exposition der Substrate. Alle Platten konnten auf der belichteten Oberseite als auch auf der beschatteten Unterseite besiedelt werden. Auf den selben Tiefenstufen wurden außerdem jeweils drei zylindrische Testkörper (Maschendrahtgitter mit elektrochemischem Präzipitat) zur Besiedlung exponiert. Die simultane Exposition verschiedener Substrattypen entlang abiotischer Gradienten erlaubte, die Entwicklung von Proto-Riffgemeinschaften vergleichend zu verfolgen. Neben dem bekannten Steuerungspotential weidender Diademseeigel, dem bereits mit dem Versuchsaufbau begegnet wurde, stellte sich das Fraßverhalten herbivorer Fische als unerwartete Komplikation bei der Entwicklung der Besiedlergemeinschaften heraus. Über die zeitliche Verlängerung der Neuansiedlung hinaus erwies sich der Weidedruck als tiefgreifende Einflußgröße für die Strukturierung der Steinkorallenzönose und damit für viele riffökologische Schlüsselprozesse. Die Analyse des Fischeinflusses und hierdurch gesteuerter Schlüsselprozesse ergänzte den bereits bearbeiteten Faktorenkatalog. Der Brückenschlag von der Grundlagenforschung zu angewandten Fragestellungen wurde über die Verwendung der elektrochemischen Akkretionstechnologie zur Transplantation von Steinkorallenfragmenten umgesetzt. Im Rahmen diese breit angelegten Ansatzes wurden Ergebnisse methodischer, ökologischer und theoretischer Natur erarbeitet. Der erste Teilbereich umfasst methodisch- technische Ergebnisse zu Aspekten - der elektrochemischen Mineralakkretion: Ausgehend von den Angaben und Berichten zur Versuchsreihe Symarc aus dem Mittelmeer wurde das Design und die verwendeten Materialien verbessert (vgl. BUBNER et al. 1988; MEYER & SCHUHMACHER 1993; SCHUHMACHER & SCHILLAK 1994). Unterschiedliche Versuchsaufbauten, Kathoden-Designs, Anodenmaterialien und Stromregime wurden getestet und optimiert. Schrittweise konnten diverse technische Neuerungen in Bezug auf die Auslegung von Bauteilen entwickelt werden. Für einen Anoden- Anschluß, der die Handhabbarkeit erheblich vereinfachte, wurde ein Patentschutz beantragt. - der Transplantation von lebenden Steinkorallen: Die elektrochemische Mineralakkretion wurde erstmalig zur Transplantation von kleinen Steinkorallenfragmenten simultan zur Bestromung eingesetzt. Auf vier Testflächen in 1, 6, 12 und 18 m Tiefe wurden insgesamt 400 Steinkorallenfragmente von sechs ausgewählten Arten transplantiert. Die Fragmente von Acropora variabilis, Acropora squarrosa, Stylophora pistillata, Pavona varians und Montipora monasteriata zeigten bis zum Versuchsende durchschnittliche Überlebensraten von ca. 70 % und belegten die prinzipielle Eignung dieser Arten für diese Transplantationsmethode. Die Pionierform Pocillopra damicornis reagierte unerwartet sensibel auf die Fragmentation und anschließende Transplantation und ist mit der verwendeten Technik nicht zu transplantieren. Unterschiede auf den einzelnen Tiefenstufen resultierten möglicherweise aus unterschiedlichen hydraulischen Belastungen. Komplikationen ergaben sich durch den partiellen Befall der Transplantate durch die corallivore Schnecke Drupella cornus (vgl. SCHUHMACHER 1992) . - der Messung von biogenem Abtrag von Korallenkalksubstraten: Es wurde eine Messapparatur entwickelt, die Messung des biogenen Abtrags von der Ober- und Unterseite der Versuchssubstrate erlaubte. Diese Differenzierung ergab deutliche Hinweise auf die Abhängigkeit von Weidedruck, Orientierung der Substrate, Belichtung und Bathymetrie. - der Überwachung von Weideaktivität über den Versuchssubstraten mittels Zeitraffer- Videokamera. Die möglichst lückenlose Überwachung des Weidegeschehens auf den Versuchssubstraten stellte ein methodisches Problem dar, welches über in situ Beobachtungen mit entsprechend langen Tauchzeiten nicht gelöst werden konnte. In Zusammenarbeit mit der Elektronikwerkstatt der Universität Essen wurde eine Intervallschaltung für eine UW- Videokamera entwickelt. Die Aufzeichnungen mittels einer Zeitraffervideokamera ermöglichte sowohl die Intensität als auch die Artenzusammensetzung der weidende Fische zu dokumentieren. Der zweite Teilbereich beinhaltet freilandökologische Ergebnisse zu den Aspekten - der räumlichen und zeitlichen Muster der Besiedlung von unterschiedlichen simultan exponierten Substratplatten durch Steinkorallen und anderes Riffbenthos. Das Arteninventar der Aufwuchsgemeinschaften von 126 Substratplatten wurde bestimmt und anhand von Sammeltaxa digital kartiert. Mit Hilfe eines Bildanalysesystems konnten die Flächenanteile der einzelnen Taxa quantifiziert werden. Ähnlichkeiten und Unterschiede der benthischen Gemeinschaften wurden anhand von Dominanzidentitätsberechnung analysiert und in Bezug zu biogenen und abiogenen Parametern gestellt. Die beschatteten Substratflächen waren durchweg dichter und artenreicher besiedelt als die belichteten Plattenseiten. Vertikal orientierte Flächen wiesen stärkere Besiedlung auf als horizontal orientierte. Sowohl die Betonplatten als auch die Korallenskelettsubstrate wurden während des Untersuchungszeitraums nur von wenigen Steinkorallen besiedelt. - der räumlichen und zeitlichen Muster der Besiedlung von elektrochemisch erzeugten Substratflächen durch Steinkorallen. Die Entwicklung von Steinkorallengemeinschaften auf den elektrochemisch erzeugten Substraten über die Expositionszeit wurde untersucht und im Hinblick auf biogene und abiotische Steuerungsfaktoren diskutiert. Im Vergleich zu den Substratplatten wiesen die EES- Zylinder nach 3,5 Jahren Expositionszeit eine vergleichsweise dichte Besiedlung mit Steinkorallen auf. Auf den sechs Testzylindern konnten insgesamt 532 Korallenkolonien aus 19 Arten bzw. höheren Taxa nachgewiesen werden. Die Testzylinder aus 10 m Tiefe waren mit 462 Korallenkolonien dichter besiedelt als die Zylinder aus 20 m Tiefe die lediglich von 70 Korallenkolonien besiedelt waren. Stylophora pistillata machte mit 57 % den Hauptanteil an der gesamten Korallenbesiedlung auf den EES-Zylindern aus. Der untere, weitgehend beschattete Sektor der Zylinderaußenseiten wies bei allen Zylindern die dichteste Besiedlung auf. Die Zylinderoberseiten zeigten die geringsten Besiedlungsdichten. Dieser Befund sowie die auffälligen Bioerosionsspuren wurden als Indiz für den prägenden Einfluss von Fischfraß als Steuerungsfaktor gewertet. - der räumlichen und zeitlichen Muster der Besiedlung von elektrochemisch erzeugten Substraten durch Bryozoen Bryozoen waren aspektbildende Elemente der Pioniergemeinschaften auf den Versuchssubstraten. Das Larvenangebot der Bryozoenfauna im Untersuchungsgebiet wurde mit Hilfe von speziellen Muschelsubstraten erfasst. Es wurden 45 Arten bzw. höhere Taxa nachgewiesen. Anhand von Proben, die regelmäßig aus den EES- Zylindern entnommen wurden, wurden die räumlichen und zeitlichen Muster der Besiedlung untersucht. Die höchsten Flächenanteile an der Bryozoenbesiedlung stellten die Arten Celleporaria aperta, Celleporina spec. sowie Arten der Gattung Parasmittina und Rhynchozoon. Die diverseste Bryozoenbesiedlung etablierte sich auf den Innenseiten im oberen Sektor der EES- Zylinder sowie auf den Außenflächen im Bereich des unteren Sektors. Das Verteilungsmuster der Bryozoen gleicht damit dem der Steinkorallen und wird im wesentlichen ebenfalls durch den Steuerungsfaktor Beweidung kontrolliert. - der Weideaktivität herbivorer Fische auf den Versuchssubstraten Die Weideaktivität herbivorer Fische auf den Versuchssubstraten wurde mittels UW- Videokamera dokumentiert und quantifiziert. 13 Fischarten aus 8 Familien beweideten die Versuchssubstrate. Die Hauptweideaktivität fand in den Nachmittagsstunden statt. Dieses generelle Muster wird in Zusammenhang mit dem Nährstoffgehalt der Aufwuchsalgen begründet (vgl. CHOAT & CLEMENTS 1993, BRUGGEMANN 1994). Zeitliche Muster und Substratpräferenzen einzelner Fischarten konnten differenziert betrachtet werden. Die semi- natürlichen EES- Substrate wurden im Vergleich zu Korallenskelett und Betonsubstraten intensiver beweidet. Substratpräfenrenzen einzelner Fischfamilien und andere spezifische Muster wurden dargestellt und diskutiert. Große Scaridae, als "klassische" Bioerodierer wurden nicht fressend an den Versuchssubstraten angetroffen. Die Ergebnisse belegen, dass die Steuerung von Wiederbesiedlungsprozessen maßgeblich durch Weideaktivität kleiner, substratabbürstender Arten beeinflusst wird. - der Bioerosion von Versuchssubstraten durch herbivore Fische Die Bioerosion von Versuchssubstraten durch herbivore Fische über den Versuchszeitraum wurde für die untersuchten Tiefenstufen und Substratorientierungen getrennt quantifiziert und vergleichend diskutiert. Nachdem über die Zeitraffervideoaufnahmen nachgewiesen werden konnte, welche Arten den Hauptteil des Weidedruckes verursachen, konnte der Einfluß über die Messung der Bioerosionsraten quantifiziert werden. Von den horizontal exponierten Flächen der Korallenskelettsubstrate wurden innerhalb von 3, 5 Jahren bis zu 9,5 mm Material erodiert. Von den vertikalen Flächen wurden maximal 5,7 mm abgetragen. Die Hochrechnung dieser Abtragsraten auf g m - ² a -1 ergab für die horizontal ausgerichteten, belichteten Substratplatten aus 10 m Tiefe einen biogenen Abtrag durch Fische von ca. 3500g, für die Platten aus 20m Tiefe sogar 3800g m - ² a -1 . Die gemessenen Werte wurden auf die Bedingungen im untersuchten Riffareal hochgerechnet und mit einschlägigen Daten zur Karbonatproduktion aus dem selben Riffareal verglichen. Hierbei ergaben sich Bioerosionsraten von 2,2kg in 10m Tiefe und 2,4 kg pro m² a -1 in 20 m Tiefe. Auf der Basis dieser Daten wurde ein Kabonatbudget für das Riffareal bei Aqaba erstellt. Die Bioerosionsraten durch Fische reicht in der betrachteten Tiefenstufe -20 m bereits an die Angaben zur Karbonatproduktion heran. Summiert man die Daten zur Bioerosion durch Diadema setosum mit den Werten zur Bioerosion durch Fische ergibt sich auch für die Tiefenstufe -10m eine negative Karbonatbilanz. Dieser Hinweis auf eine möglicherweise negative Karbonatbilanz ist um so bemerkenswerter, als das Untersuchungsgebiet auch in 20m Tiefe noch eine Lebendbedeckung von 37 % aufweist. Lebendbedeckungen von fast 40 % gelten allgemein als unauffällig und werden als unkritisch bewertet. Die Ergebnisse belegen, dass anhand von Daten zur Lebendbedeckung allein keine verlässlichen Aussagen über das Wachstumspotential von Korallenriffen gemacht werden können. Der dritte Teilbereich stellt die freilandökologischen Ergebnisse in einen gesamtökologischen und theoretischen Zusammenhang. Die ermittelten Einzelbefunde wurden im Hinblick auf ihre Bedeutung für das "Gesamtsystem Korallenriff" betrachtet. - Die prominente Rolle des Steuerungsfaktors Beweidung für die Wiederbesiedlung von Rifflächen wurde im Hinblick auf seine Wirkung auf den unterschiedlichen Systemebenen diskutiert. - Auf der Basis der Befunde wurden die Interdependenzen abiotischer Gradienten mit dem Faktor Beweidung diskutiert. Theoretische Überlegungen zur Bewertung dieses wichtigen Steuerungsfaktors wurden diskutiert und die Relevanz dieser Überlegungen bei der Betrachtung rezenter Korallenriffe aufgezeigt. - Eine Hypothese zur Betrachtung von Korallenriffen als "Weidegänger- geprägte" Gemeinschaften wurde formuliert. - Konsequenzen für die Konzeption aktiver Riffschutzmaßnahmen wurden abgeleitet.