Bilir, Vural:
Perfluorierte Phenyl-, Phenylen- und Propinylxenon(II)-Verbindungen
Duisburg, Essen, 2010
2010Dissertation
ChemieFakultät für Chemie » Anorganische Chemie
Titel:
Perfluorierte Phenyl-, Phenylen- und Propinylxenon(II)-Verbindungen
Autor*in:
Bilir, Vural
Akademische Betreuung:
Frohn, Hermann-Josef
Erscheinungsort:
Duisburg, Essen
Erscheinungsjahr:
2010
Umfang:
VII, 243 S.
DuEPublico 1 ID
Signatur der UB:
Notiz:
Duisburg, Essen, Univ., Diss., 2010

Abstract:

Im Rahmen dieser Arbeit wurden Grundlagenuntersuchungen an drei Klassen von Xe–C-Verbindungen durchgeführt. Während die Synthese von ionischen und kovalenten Vertretern der Klasse der Pentafluorphenylxenon(II)-Verbindungen und ionischen Trifluorpropinylxenonium(II)-Salzen schon bekannt war, stellen Phenylen-xenon(II)-Verbindungen des Typs [1,4-(Xe)2C6F4][BF4]2 und 1-(Xe+)C6F4-4-(BF3–) Neuland dar. Diese Zusammenfassung behandelt neue Beiträge zu jeder Gruppe und zeigt verknüpfende Aspekte auf. Im Teilgebiet [C6F5Xe]+-Chemie gelang die Aufskalierung der Synthese von [C6F5Xe][BF4] auf das Vierfache, verbunden mit hoher Ausbeute und Reinheit des hellgelben Produktes. Die thermische Langzeitstabilität in Lösung wurde ergänzend zum bisherigen Kenntnisstand in CF3CH2OH (saures Lösemittel) und CH3CH2CN (koordinierendes Lösemittel) bei 20 °C untersucht und war Voraussetzung für Reaktionen in diesen Lösemitteln. Zudem wurde das Koordinationsverhalten von CH3CN in [C6F5Xe]+-Salzen mit den schwach koordinierenden Anionen [B(C6F5)4]– und [B(CF3)4]– untersucht. Während [C6F5Xe][BF4] aus CH3CN-Lösung nach Trocknen im Feinvakuum als lösemittelfreier Feststoff erhalten werden konnte, enthielt [C6F5Xe][B(CF3)4] selbst nach langer Vakuumbehandlung noch CH3CN, welches schließlich durch wiederholtes Extrahieren mit CH2Cl2 vollständig entfernt werden konnte. Im Falle von [C6F5Xe∙NCCH3][B(C6F5)4] konnte weder im Vakuum selbst bei höheren Temperaturen oder durch Extrahieren mit CH2Cl2 ein CH3CN-freies Salz erhalten werden. Diese Ergebnisse erlauben die Schlussfolgerung, dass das [B(C6F5)4]–-Anion schwächer koordinierend auf das elektrophile [C6F5Xe]+-Kation wirkt als das [B(CF3)4]–-Anion. Im Falle von [C6F5Xe][BF4] in den koordinierenden Lösemitteln CH3CN, CD3CN und CH3CH2CN lieferten Untersuchungen mit den Silanen (CH3)3SiCl, (CH3)3SiCN und (CH3CH2)3SiH interessante Resultate. Die Reaktion mit (CH3)3SiCl verlief bei –40 bis –55 °C schnell und quantitativ zu dem gewünschten molekularen Produkt C6F5XeCl, während mit (CH3)3SiCN nicht C6F5XeCN resultierte. Stattdessen wurde quantitativ [C6F5Xe][NCBF3] erhalten. Selbst bei tiefen Temperaturen (–40 °C) lief diese Reaktion zum [BF3CN]–-Anion schnell ab. Bekanntlich findet mit Li+ oder K+ als Gegenion diese F-CN-Substitution bei wesentlich höheren Temperaturen (20 °C bzw. 120 °C) nur in sehr langsamer Reaktion (30 Tage) statt und liefert über die [BF3CN]–-Stufe die Salze Li[BF2(CN)2] bzw. K[BF(CN)3]. [BF3CN]– ist im Vergleich zu [BF4]– ein signifikant stärker koordinierendes Anion. So erfolgte bereits bei 20 °C eine Reaktion zwischen dem elektrophilen [C6F5Xe]+-Kation und [BF3CN]– unter Bildung von [C6F5Xe][BF3CN∙BF3], Xe0, C6F5H und C6F5CN. Der Reaktionsweg bei der Bildung von C6F5XeCl und [C6F5Xe][NCBF3] konnte mit Hilfe von ergänzenden Versuchen von [N(n-C4H9)4][BF4] bzw. BF3∙NCCH3 mit (CH3)3SiCl und (CH3)3SiCN plausibel gemacht werden. Bei der Umsetzung von [C6F5Xe][BF4] mit (CH3CH2)3SiH in CD3CN abstrahierte das elektrophile [C6F5Xe]+-Kation primär das Si-gebundene hydridische 1H-Atom und untergeordnet eine Ethyl-Gruppe. Die bei der Zersetzung von C6F5XeY entstandenen C6F5•-Radikale reagierten nur zu einem sehr geringen Teil mit dem Lösemittel zu C6F5D. Die intermediäre Bildung der kurzlebigen Moleküle C6F5XeH und C6F5XeCH2CH3 wird durch die Endprodukte nahe gelegt. Das symmetrische Molekül (C6F5)2Xe wird demnach durch die schnelle Äquilibrierung von C6F5XeY gebildet. C6F5•-Radikale, die aus C6F5XeY resultieren, abstrahieren nur in geringem Umfang 2D aus CD3CN. Erstmals gelang im Falle von C6F5XeF die Einkristall-Röntgenstruktur eines Organoxenonhalogenids. Eine Lösung von C6F5XeF in kaltem CH2Cl2 konnte im Vakuum so langsam aufkonzentriert werden, dass sich nach 8 Stunden farblose, klare und rechteckige Plättchen bildeten. Beide Moleküle der asymmetrischen Einheit zeigen im Falle der Xenon-gebundenen Fluoratome lange intermolekulare Kontakte zum anderen symmetrieunabhängigen Xe-Atom. Ferner bildet ein Molekül der asymmetrischen Einheit ein Dimer. Ausgehend von [C6F5Xe][BF4] wurde 1,4-(C6F5XeO(O)C)2C6F4 ∙ 2 CH3CN als molekulare Verbindung mit zwei Xe–C-Bindungen synthetisiert und als weißer Feststoff isoliert. Alle Befunde sprechen dafür, dass beide CH3CN kokristallisiert und nicht an [C6F5Xe]+ koordiniert vorliegen. 1,4-(C6F5XeO(O)C)2C6F4 ∙ 2 CH3CN kann im Vakuum nicht von CH3CN befreit werden, wohl aber durch mehrfache Extraktion mit dem polaren Lösemittel CH2Cl2. Die Charakterisierung von solvatfreiem 1,4-(C6F5XeO(O)C)2C6F4 erfolgte durch die NMR- und Raman-Spektroskopie. Einkristalle konnten aus einer (CF3)2CHOH/CH3CN-Suspension (2:1) erhalten werden und zeigen das Molekül mit vier (CF3)2CHOH über H-Brücken an die Terephthalat-Gruppe O-koordiniert. Festes 1,4-(C6F5XeO(O)C)2C6F4 ∙ 2 CH3CN als auch solvatfreies 1,4-(C6F5XeO(O)C)2C6F4 waren bei 20 °C thermisch instabil. Die Eliminierung von Xe0 führte zum Diester 1,4-(C6F5O(O)C)2C6F4. Bei der dynamischen Differenzkalorimetrie zeigte das lösemittelfreie Molekül eine höhere Stabilität als das CH3CN-Kokristallisat auf. In Lösung wurden die thermischen Eigenschaften von 1,4-(C6F5XeO(O)C)2C6F4 in CH3CN, CF3CH2OH und (CF3)2CHOH untersucht. Ferner konnten die Signalbanden im Raman-Spektrum durch Vergleich mit [C6F5Xe][BF4], [C6F5Xe][OTeF5] und Cs2[1,4-(O(O)C)2C6F4] und mit Hilfe von berechneten Raman-Frequenzen zugeordnet werden. Die intensivste und charakteristische Bande entsprach der Xe–C-Streckschwingung. Deren Wellenzahl war in 1,4-(C6F5XeO(O)C)2C6F4 (180 cm–1) kleiner als in [C6F5Xe][OTeF5] (193 cm–1) und [C6F5Xe][BF4] (205 cm–1), was für eine längere und schwächere Xe–C-Bindung spricht. [CF3C≡CXe]+-Salze sind im Feststoff als auch in Lösung deutlich instabiler als entsprechende [C6F5Xe]+-Salze. Mit CH3CH2CN konnte ein geeignetes koordinierendes Lösemittel für [CF3C≡CXe][BF4] bei –78 °C gefunden werden. Zusätzlich zu bereits bekannten Eigenschaften von [CF3C≡CXe][BF4] im superaciden Milieu wurden zusätzliche NMR-, Raman-spektroskopische und thermische Informationen ermittelt. Mit dem Ziel, molekulare Perfluoralkinylxenon(II)-Verbindungen zu synthetisieren, wurden Reaktionen mit Nukleophilen durchgeführt. Ferner wurde die Perfluoralkinylierung der -Base C6H5F mit [CF3C≡CXe][BF4] untersucht. Während Umsetzungen von [CF3C≡CXe][BF4] mit harten und mäßig harten Nukleophilen (F–, C6F5C(O)O–) nur zu einer großen Palette von Zersetzungsprodukten führten, wurde mit Cd(C6F5)2 (einem relativ weichen C-Nukleophil) ein erstes Beispiel für eine molekulare Organoalkinylxenon(II)-Verbindung erhalten. Das nicht detektierte Intermediat CF3C≡CXeC6F5 reagierte unter schneller Äquilibrierung zu (C6F5)2Xe und bisher unbekanntem (CF3C≡C)2Xe. Die 19F-, 13C- und 129Xe-NMR-spektroskopischen Daten dieses linearen Moleküls unterschieden sich deutlich von der kationischen Spezies [CF3C≡CXe][BF4]. Erwartungsgemäß war (CF3C≡C)2Xe in CH3CH2CN-Lösung bei –78 °C thermisch instabiler als [CF3C≡CXe][BF4]. Mit [1,4-(Xe)2C6F4][BF4]2 wird ein Vertreter einer neuen interessanten Klasse von Organoxenon(II)-Verbindungen vorgestellt. Das Dikation ist ein erstes Beispiel für zwei positiv geladene Xenon-Atome gebunden am gleichen Organo-Rest. Der Syntheseweg zur Zielverbindung führte über mehrere neue Vorstufen. Die literaturunbekannte Ausgangsverbindung 1,4-(F2B)2C6F4 wurde ausgehend von 1,4-Br2C6F4 über 1,4-(BrMg)2C6F4, 1,4-((H3CO)2B)2C6F4 und schließlich K2[1,4-(F3B)2C6F4] erhalten. Die Umsetzung von K2[1,4-(F3B)2C6F4] mit BF3 führte zur starken Lewis-Säure 1,4-(F2B)2C6F4. Diese wurde in PFP mit zwei Äquivalenten XeF2 umgesetzt und lieferte dabei nur in äußerst geringer Ausbeute das gewünschte [1,4-(Xe)2C6F4]2+-Dikation. Einer der beiden Hauptreaktionskanäle führte zum interessanten Zwitterion 1-(Xe+)C6F4-4-(BF3–). Das dafür verantwortliche Intermediat [1-(Xe)C6F4-4-(BF2)]+ zeichnet sich durch seine sehr hohe F–-Affinität aus. Durch Fluoridabstraktion aus [BF4]– oder XeF2 kann [1-(Xe)C6F4-4-(BF2)]+ in PFP das unlösliche Zwitterion bilden. Es ist das erste Beispiel für eine zwitterionische Organoxenon(II)-Verbindung. Beim zweiten Reaktionskanal erfolgt durch obige starke Lewis-Säure die Aktivierung von XeF2 unter Bildung des starken Fluorierungs-mittels [FXe]+, das durch Fluoraddition an den C6F4-Ring zu 1,4-Diene führte. Das Feststoffgemisch bestand demnach aus den Hauptprodukten 1-(Xe+)C6F4-4-(BF3–), 1-(Xe+)C6F6-4-(BF3–) und [BF4]– und den Nebenprodukten [1-(Xe)C6F6-4-H]+, [1,4-(Xe)2C6F4]2+, 1,4-(Xe+)2C6F6 neben zwei unbekannten Verbindungen. Beim optimierten Syntheseversuch für 1-(Xe+)C6F4-4-(BF3–) mit nur einem Äquivalent XeF2 in PFP konnte die Bildung von Ringfluorierungsprodukten und von geringen Mengen [1,4-(Xe)2C6F4]2+ nicht verhindert werden. Das Zwitterion 1-(Xe+)C6F4-4-(BF3–) wurde als hellgelber Feststoff in hoher Reinheit isoliert. Als Feststoff zeigt 1-(Xe+)C6F4-4-(BF3–) eine hohe Stabilität. Unter Argonschutzatmosphäre konnte das Zwitterion einen Monat lang ohne Zerfall bei 20 °C gelagert werden und lieferte bei der dynamischen Differenzkalorimetrie einen Zersetzungspunkt von 148 °C, welcher nur geringfügig niedriger ist als der von [C6F5Xe][BF4] mit 157 °C. In Lösung wurden für 1-(Xe+)C6F4-4-(BF3–) in CH3CN, 27% HF(aq) und aHF ebenfalls relativ hohe thermische Stabilitäten gefunden. In aHF konnten qualitativ gute 19F-, 11B-, 13C- und 129Xe-NMR-Spektren erhalten werden. Im Raman-Spektrum erschien die charakteristische Xe–C-Streckschwingung bei 187 cm–1 und ist kleiner als in [C6F5Xe][BF4] (205 cm–1). Schließlich wurde die Reaktivität von 1-(Xe+)C6F4-4-(BF3–) gegenüber den Nukleophilen X– (X = I, Br, Cl, F, CN) in 27% HF(aq) untersucht und führte zu den neuen Boraten [1-XC6F4-4-BF3]– (X = I, Br, Cl, CN). Die Umsetzung von 1-(Xe+)C6F4-4-(BF3–) mit XeF2 in aHF (HF als Fluoridakzeptor) stellte keinen alternativen Syntheseweg zum Dikation [1,4-(Xe)2C6F4]2+ dar.