Keldenich, Christian:
Bildung und das neoliberale Projekt : Zur geschichtlichen Entwicklung des Neoliberalismus im Feld beruflicher Curricula ; eine ideologiekritische Analyse
Duisburg, Essen, 2020
2020DissertationOA Platin
ErziehungswissenschaftenFakultät für Bildungswissenschaften » Institut für Erziehungswissenschaft » Allgemeine Pädagogik
Titel in Deutsch:
Bildung und das neoliberale Projekt : Zur geschichtlichen Entwicklung des Neoliberalismus im Feld beruflicher Curricula ; eine ideologiekritische Analyse
Titel in Englisch (übersetzt):
Education and the neo-liberal project : the historical development of neoliberalism in the field of vocational curricula ; an ideology-critical analysis
Autor*in:
Keldenich, ChristianUDE
GND
1216519153
LSF ID
60660
Sonstiges
der Hochschule zugeordnete*r Autor*in
Akademische Betreuung:
Bernhard, ArminUDE
LSF ID
10186
Sonstiges
der Hochschule zugeordnete*r Autor*in
Erscheinungsort:
Duisburg, Essen
Erscheinungsjahr:
2020
Open Access?:
OA Platin
Umfang:
461 Seiten
DuEPublico 2 ID
Signatur der UB:
Notiz:
Dissertation, Universität Duisburg-Essen, 2020
Sprache des Textes:
Deutsch

Abstract in Deutsch:

Ausgangspunkt dieser Arbeit war ein erster vager Verdacht, dass aktuelle schulische berufliche Curricula maßgeblich von neoliberaler Ideologie durchdrungen sein könnten. Diese Vermutung kam erstmals mit der Implementierung der neuen kompetenzorientierten Bildungspläne für den Vollzeitbereich an Berufskollegs in NRW im Jahr 2014 auf und stützte sich zunächst auf die mit der Einführung der neuen Bildungspläne einhergehende weitere Ökonomisierung der schulischen beruflichen Bildung. Die Feststellung einer immer weitergehenden Ökonomisierung von beruflicher Bildung reicht allerdings alleine nicht aus, um den Nachweis von neoliberaler Ideologie in beruflichen Curricula und eines neoliberalen Projekts in der schulischen beruflichen Bildung erbringen zu können. So ist der Trend zur Ökonomisierung von (beruflicher) Bildung kein alleiniges Phänomen des Neoliberalismus, sondern zunächst einmal ein Charakteristikum von beruflicher Bildung innerhalb des kapitalistischen Systems. Der beruflichen Bildung wohnt seit ihrem Bestehen ein Spannungsverhältnis zwischen den Anforderungen der Ökonomie an das Subjektvermögen und den legitimen Interessen der Schülerinnen und Schüler an Bildung inne. Berufliche Bildung geht aus den Anforderungen der Gesellschaft an die Subjekte hervor und soll die Menschen vor allem mit ökonomisch und gesellschaftlich verwertbaren Kompetenzen und Qualifikationen ausstatten, um einerseits die Reproduktion der Gesellschaft und der Kapitalakkumulation sicherzustellen und andererseits die Subjekte zu einem selbstständigen Leben befähigen. Die neoliberale Ideologie erschöpft sich auch nicht nur in der Ökonomisierung von Bildung oder anderen Lebensbereichen. Vielmehr soll das Markt-, Wettbewerbs- und Konkurrenzprinzip alle Lebensbereiche durchdringen, um so Herrschaft sicherzustellen. Die neoliberale Ideologie in der beruflichen Bildung zeichnet sich somit durch ihren Doppelcharakter aus: Sie ist ein Herrschaftsinstrument und zielt gleichzeitig auf die Herstellung von ökonomisch verwertbaren Kompetenzen innerhalb neoliberaler Verhältnisse. Um neoliberale Ideologie in schulischen beruflichen Curricula mittels einer ideologiekritischen Analyse aufspüren und nachweisen zu können, muss mit der Analysekategorie des Hegemonieprojekts und der Methodik der historisch-materialistischen-Politikanalyse (HMPA) ein differenziertes Instrumentarium herangezogen werden. Auf dieser methodischen Basis kann im Rahmen dieser Arbeit der Nachweis erbracht werden, dass das neoliberale Projekt in der schulischen beruflichen Bildung spätestens ab den 2010er Jahren eine hegemoniale Stellung in der schulischen beruflichen Bildung innehat und dass die in diesem Zeitraum neu entwickelten schulischen beruflichen Curricula von neoliberaler Ideologie durchdrungen sind. Die Durchsetzung des neoliberalen Hegemonieprojekts in der schulischen beruflichen Bildung war allerdings keineswegs alternativlos. In den 1970er Jahren konkurrierten verschiedene empirisch-positivistisch geprägte Curriculamodelle mit kritisch-emanzipatorischen curricularen Ansätzen. Seit den 1970er Jahren ist aber auch eine immer stärkere Ausrichtung der beruflichen Bildung auf die Interessen der Wirtschaft festzustellen. Die Ansprüche der Subjekte an Bildung und die Ansätze einer kritisch-emanzipatorischen schulischen beruflichen Bildung wurden in den berufspädagogischen Diskursen immer stärker an den Rand gedrängt und schließlich marginalisiert. Die Ökonomisierung von beruflicher Bildung vollzog sich allerdings bis in die 1990er Jahre hinein in Deutschland unter fordistischen und nicht unter neoliberalen Vorzeichen. Erste Anzeichen von neoliberaler Ideologie in schulischen beruflichen Curricula können ab den 1990er Jahren festgestellt werden. Mit Beginn der 2000er Jahre ist zusätzlich auch ein wesentlicher Einfluss der neoliberalen Bildungspolitik der EU auf das deutsche berufliche schulische Bildungssystem nachweisbar. Die ab den 2010er Jahren neu entwickelten oder überarbeiteten Rahmenlehrpläne für Ausbildungsberufe und die ab dem Jahr 2014/2015 eingeführten kompetenzorientierten Bildungspläne für den Vollzeitbereich an Berufskollegs in NRW sind vollständig von neoliberaler Ideologie durchdrungen. In den beruflichen schulischen Curricula kann die neoliberale Ideologie auf zwei Ebenen nachgewiesen werden. Sowohl die Ebene der curricularen Konstruktionsmechanismen als auch die Ebene der Bildungsziele und die grundsätzliche inhaltliche Ausrichtung beruflicher Bildung sind in den untersuchten Curricula spätestens mit Beginn der 2010er Jahre vollständig von neoliberaler Ideologie durchdrungen. Das Denken und Handeln von den in der Bildungsbürokratie tätigen Subjekten scheint nach wie vor von der neoliberalen Ideologie maßgeblich beeinflusst zu sein, da die seit den 2010er Jahren neu entwickelten und von neoliberaler Ideologie durchdrungenen Curricula innerhalb der Bildungsbürokratie erarbeitet und entwickelt worden sind. Allerdings kann im Rahmen dieser Arbeit nur indirekt auf die konkrete Ausprägung und Verbreitung neoliberaler Ideologie im Denken und den Einstellungen der innerhalb der Bildungsbürokratie tätigen Subjekte geschlossen werden. Die in dieser Arbeit gewonnenen Erkenntnisse über den Charakter und die Stellung des neoliberalen Projekts in der schulischen beruflichen Bildung sowie über die Elemente und die beabsichtige Wirkungsweise neoliberaler Ideologie in der beruflichen Bildung lassen allerdings nicht automatisch darauf schließen, im welchen Maße die in den Curricula identifizierte neoliberale Ideologie wirklich Einzug in das Denken, Fühlen und Handeln der Subjekte hält. Es kann aber aufgezeigt werden, dass das neoliberale Projekt in der schulischen beruflichen Bildung nach wie vor eine hegemoniale Stellung innehat. Die Schülerinnen und Schüler sind in neoliberalen Verhältnissen aufgewachsen, d.h. sie haben mit großer Wahrscheinlichkeit das Markt-, Wettbewerbs- und Konkurrenzdenken vollständig internalisiert. Folgt man dieser Annahme, dürfte ein überwiegender Teil der Schülerinnen und Schüler daran interessiert sein, sich über schulische berufliche Bildung einen Vorteil im Wettbewerb um Lebens- und Berufschancen sowie um materiellen Wohlstand und soziale Anerkennung verschaffen zu können. Aus diesem Grund liegt die Vermutung nahe, dass die Schülerinnen und Schüler vor allem daran interessiert sind, mit von der Ökonomie geforderten beruflich verwertbaren Kompetenzen ausgestattet zu werden. Die Anforderungen des Staates, der Ökonomie und der Schülerinnen und Schüler an berufliche Bildung scheinen somit identisch zu sein. Unterwirft sich das Subjekt nicht den bestehenden Verhältnissen, so verwirkt es im neoliberalen Kapitalismus seine Chancen. Deswegen kommt es zu einer >>freiwilligen<< Unterwerfung der Subjekte unter die neoliberalen Verhältnisse. Dadurch wird auch deutlich, wie Herrschaftsinteressen und ökonomische Interessen im Rahmen der neoliberalen Ideologie in der beruflichen Bildung ineinandergreifen. Durch die neoliberale Ideologie steuern sich die Subjekte selbst im Sinne der herrschenden Verhältnisse und des neoliberalen Kapitalakkumulationsregimes. Sie beherrschen und kontrollieren sich selber und eignen sich dadurch selbstständig Kompetenzen an, die den Anforderungen und Interessen der Ökonomie entsprechen. Auch wenn das neoliberale Projekt in einigen gesellschaftlichen Bereichen bereits krisenhafte Tendenzen zeigt, scheint in der schulischen beruflichen Bildung der aktive und passive Konsens zum hegemonialen neoliberalen Projekt weiter zu bestehen.